Ein Kommentar über Vertrauen, Verantwortung und den Umgang mit Bürgern. Von Thorsten Scherer.
Haßloch war lange Zeit ein Symbol für das „durchschnittliche Deutschland“. Doch was sich aktuell rund um das Sanierungsgebiet abspielt, ist alles andere als durchschnittlich – es ist ein Lehrstück über politische Verantwortung, über Verwaltungskultur und darüber, was passiert, wenn man Bürgerinnen und Bürger zu spät einbindet.
Seit mehr als 35 Jahren läuft die Ortskernsanierung in Haßloch. Eine Generation von Gemeinderäten kam und ging, ohne dass das Projekt je sauber abgeschlossen wurde. Nun, 2025, sollen Eigentümerinnen und Eigentümer plötzlich zahlen – auf Basis eines 232 Seiten starken Gutachtens, das viele erst seit wenigen Wochen kennen. Sie sollen Verträge unterzeichnen, Fristen einhalten, Zinsen zahlen – und all das unter erheblichem Zeitdruck.
Verantwortung beginnt mit Transparenz
Verwaltung ist Dienst an der Öffentlichkeit. Politik ist kein Selbstzweck, sondern die Übernahme von Verantwortung – auch für Versäumnisse. Diese Haltung ist in Haßloch verloren gegangen.
Die Gemeinde hätte längst sagen können: „Wir haben hier ein strukturelles Problem. Wir wissen, dass das Thema schwierig ist, aber wir stellen uns der Verantwortung.“
Doch stattdessen wurde geschwiegen, beschwichtigt und vertagt. Noch im Frühjahr 2025 war das Thema kaum öffentlich bekannt. Erst als die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) die Rückzahlung von knapp einer Million Euro Fördergeldern forderte, kam Bewegung in die Sache.
Spätestens da hätte die Gemeinde transparent kommunizieren müssen – über Ursachen, über rechtliche Konsequenzen und über das, was auf die Bürger zukommt.
Doch das Gegenteil geschah: Man verschickte Schreiben mit kaum nachvollziehbaren Fristen, stellte Ablöseverträge ohne klare Härtefallregelung aus und vermied jede echte Diskussion.
Bürgernähe ist kein Verwaltungsakt
Politik lebt vom Vertrauen. Und Vertrauen entsteht durch Haltung.
Ein Bürgermeister, der frühzeitig gesagt hätte: „Ich habe das Thema geerbt, aber ich mache es jetzt transparent, Schritt für Schritt“, hätte Glaubwürdigkeit gewonnen.
Stattdessen entstand der Eindruck, dass die Gemeinde selbst überrascht war, dass sie geliehenes Geld irgendwann zurückzahlen muss.
Das Ergebnis: hektische Abläufe, fehlende Kommunikation, Unsicherheit auf allen Seiten.
Dabei wäre Bürgernähe gar nicht kompliziert gewesen. Ein offener Informationsabend im Frühjahr, klare Erklärungen in der Presse, ein transparentes Online-Dokumentationsportal – all das hätte Vertrauen schaffen können.
Stattdessen kam die Information so spät, dass sie kaum noch Wirkung entfalten konnte.
Das Ergebnis jahrzehntelanger Nachlässigkeit
Die Leidtragenden sind nun die Eigentümerinnen und Eigentümer. Viele stehen ratlos vor Verträgen, deren juristische Tragweite sie kaum überblicken können. Wer unterschreibt, verliert Rechtsmittel; wer nicht unterschreibt, riskiert ein Verwaltungsverfahren.
Dass es so weit gekommen ist, ist keine juristische, sondern eine moralische Frage.
Denn Verantwortung endet nicht dort, wo das Gesetz erfüllt ist – sie beginnt dort, wo man sich fragt: „Ist das, was wir tun, gerecht?“
Ein schnelleres Verfahren hätte die Bürger entlastet. Denn vor zehn Jahren waren die Grundstückspreise noch weit niedriger – die Ausgleichsbeträge wären es auch.
Doch diese Entwicklung wurde verpasst, weil niemand den Mut hatte, das Verfahren abzuschließen. Heute wird der Preis der Passivität von den Bürgern gezahlt – nicht von denen, die sie verursacht haben.
Fazit: Vertrauen braucht Haltung
Haßloch zeigt exemplarisch, wie eine Verwaltung Vertrauen verspielen kann, ohne formal gegen ein Gesetz zu verstoßen.
Es geht nicht darum, Schuldige zu suchen – es geht um Haltung.
Verantwortung bedeutet, auch unbequeme Wahrheiten offen auszusprechen.
Die Gemeinde hätte sagen können: „Ja, hier ist etwas schiefgelaufen, und wir stehen dazu.“
Das wäre glaubwürdig gewesen.
So aber bleibt ein bitterer Beigeschmack: Bürger, die zahlen, obwohl sie nicht verstehen, warum. Und eine Gemeinde, die glaubt, durch Schweigen Kontrolle zu behalten – und dabei Vertrauen verliert.